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Die Ochsentour

So ein Oberochse hat es auch nicht leicht: Er muss für 400 Zuschauer eine Rosenmontagssitzung auf die Beine stellen, ohne das Programm wirklich zu kennen. Denn das gehört in Bad Hohalia zu den bestgehüteten Geheimnissen.

Von Peter Rütters, Hildesheimer Allgemeine Zeitung vom 04.02.2017

Da sitzt er nun und schwitzt, was der Saunaofen hergibt. Vor fast einem Jahr haben sie Otto Klessen zum Oberochsen gewählt. Seitdem dreht sich bei dem bulligen Zweizentnermann fast alles nur noch um die nächste Karnevalssitzung. Selbst hier in der Sauna verfolgt ihn der Termin am 27. Februar. Denn Klessen sitzt keinem Geringeren als Toni von der Schleuderalm gegenüber. Der unbekleidete Adlige war auch mal Oberochse, stieg nach einjähriger Amtszeit zum Oberbürgermeister auf, weil er eine 1-A-Sitzung auf die Beine gestellt hatte: „Bei mir war der Saal ruck zuck ausverkauft. Da musst du dir aber noch Mühe geben, Otto“, zieht der gebürtige Österreicher seinen Kumpel auf. Der verzieht nur die Schnute und stöhnt: „Alle haben ihren Spaß. Nur ich nicht.“ Sagt’s und springt unter die kalte Dusche. Er braucht einen klaren Kopf. Schließlich sind es bis Rosenmontag nur noch gut vier Wochen „und es ist noch soooo viel zu tun“. Klessen macht sich auf den Weg, verlässt den Club der Saunafreunde mit dem – nun ja – etwas eigenwilligen Namen „Nasse Latten“. Aber so sind sie nun einmal, die Männer aus Hohenhameln. In der Karnevalszeit geben sie sich Adelstitel wie Smutje von Pötten und Pannen, Otto von Gummi und Strapsen, Siggi von Anna und Bolika oder eben Toni von der Schleuderalm alias Ulrich Mangeng. Welchen Namen sie Otto Klessen geben werden, ist ein streng gehütetes Geheimnis. Eines von vielen während der fünften Jahreszeit.

Als Klessen anderntags die Tür zum Partyraum von Ulrich Dornbusch öffnet, fühlt er sich schon wieder wie in der Sauna. Die ersten ehrenwerten Mitglieder des Clubs der Oberbürgermeister haben an den rustikalen Holztischen Platz genommen, genießen die Wärme des Kaminofens und schon mal das erste Bier des Abends. Dazu reicht Dornbusch Bockwürstchen und Kartoffelsalat. Genau nach dem Geschmack von Klessen. Wenn alles klappt, dann wird auch er demnächst in den erlauchten Kreis der Oberbürgermeister aufgenommen. Jeder von ihnen trug schon einmal den berüchtigten Ochsenhut, der dem nichtsahnenden Kandidaten traditionell während der Rosenmontagssitzung aufgesetzt wird. Zuletzt traf es Otto Klessen. Der 49-Jährige muss jetzt zusehen, dass bei der nächsten Sitzung alles wie am Schnürchen läuft. Eine echte Ochsentour: Ehrengäste einladen, Musikanten engagieren, Eintrittskarten entwerfen, Rede schreiben, Putzfrauen anheuern und und und. Die Ansprüche in Hohenhameln sind hoch. Schließlich trägt der Ort während der Regentschaft der Oberbürgermeister zwischen dem 11.11. und Aschermittwoch den Beinamen Bad Hohahlia.

„Zum Glück bin ich nicht auf mich allein gestellt“, macht sich Klessen Mut, klopft dem Gastgeber dabei auf die Schulter. Der heißt mit bürgerlichem Namen Ulrich Dornbusch, darf sich als Oberbürgermeister des Jahres 1997 aber auch Ulli, der Dachfürst nennen. Welcher Adelstitel dem aktuellen Oberochsen am Rosenmontag in der Mehrzweckhalle verliehen wird, weiß Otto Klessen noch nicht. Aber der Betreiber der Oil-Tankstelle weiß, dass ihm der Dachdeckermeister bei der Vorbereitung des Fests helfen wird. Beispielsweise mit den sieben Feuerlöschern, die der Landkreis Peine als Genehmigungsbehörde verlangt. „Geht an, Otto, aber nimm dir erstmal ein Bier“, sagt Dornbusch mit der Gelassenheit eines erfahrenen Würdenträgers. Beide kennen sich schon lange, treten bei den gemütlichen Abenden der Oberbürgermeister im Partykeller immer wieder beim Tischfußball gegeneinander an. Schnell geht Klessen mit 3:0 in Führung, schiebt die bunten Klötzchen der Toranzeige als Daueroptimist schon mal auf 9:0. „Er ist halt immer ein bisschen schnell", sagt sein Gegenspieler, versenkt die weiße Kugel wie zum Trotz in Klessens Kasten.

Der drückt nicht nur beim Krökeln aufs Tempo, denn die Zeit bis zur großen Sitzung mit 400 Zuschauern rennt ihm davon. Wie alle Oberochsen vor ihm muss er den Akteuren des Abends und den 33 Oberbürgermeistern einen Orden überreichen. Früher übernahm die Nussknackerfabrik Steinbach Entwurf und Produktion. Nach der Insolvenz der Firma muss der Oberochse die Sache jetzt selbst in die Hand nehmen. Zum Glück ist Klessen Netzwerker, kann dank seiner Mitgliedschaft in den Hohenhamelner Vereinen auf viele Helfer setzen. Wie auf Anja Schreiber. Bei der besten Freundin seiner Frau Heike kreuzt der 50-Jährige am Abend mit acht Knäueln Wolle auf. Weiß, grün und lila sind die Hausfarben seiner Tankstelle, Anja Schreiber soll aus der Wolle die Kordeln für die Orden knüpfen. Klessen kniet vor ihrem Küchentisch, zieht die Fäden auseinander und legt die Stirn in Falten: „Knoten oder Klebepistole?“, fragt er etwas ratlos, kann sich aber schon im nächsten Moment wieder entspannen: „Das läuft, Otto. Ich mach das hübsch“, sagt Anja Schreiber. Der Mann in der Küche holt einmal tief Luft, schenkt der Helferin sein schönstes Lächeln. Auch diesen Punkt kann er von seiner ellenlangen To-do-Liste streichen.

Doch selbst mit seiner charmanten Art beißt Otto Klessen mitunter auf Granit. Die Mission Rosenmontag unterliegt bei den Akteuren in Bad Hohalia der höchsten Geheimhaltungsstufe. So wollen Elke Holsteiner und Elke Rathay partout nicht verraten, was die acht Frauen von „El MariEl“ am 27. Februar auf die Bühne zaubern werden. In Momenten wie diesen fühlt sich Klessen wie James Bond, der als Geheimagent dem Programmablauf auf die Spur kommen will. Noch besser: muss. Denn als Oberochse führt er durch das Programm, moderiert jeden Auftritt an. Deshalb haben die beiden ein Einsehen, gewähren ihrem Gast beim Übungsabend zumindest einen klitzekleinen Einblick in die Tänze. Natürlich ohne die Kostüme, um die Spannung bis zum Auftritt hochzuhalten: „Frauen haben halt so ihre Geheimnisse“, sagt Elke Rathay hinterher am Küchentisch im Haus ihrer Freundin Elke Holsteiner. Dort baldowern die beiden Frauen schon seit Jahren die Tanzeinlagen aus, entwerfen die Kostüme, stimmen die Choreographie ab. Für „ElMariEl“- einem Kunstwort aus den drei Vornamen der Gründungsmitglieder Elke, Marion, Elke) - aber auch für das Männerballett. Dessen Mitglieder rekrutieren sich aus dem Kreis ehemaliger Oberochsen, die allesamt nach ihrer einjährigen Amtszeit in den Club der Oberbürgermeister aufgenommen wurden. Privilegien genießen die feinen Herren trotz ihrer Dienstkleidung mit Frack und Zylinder während der Übungsabende aber nicht: „Die Jungs müssen schon nach unserer Pfeife tanzen“, freut sich Elke Holsteiner, setzt dabei ein verschmitztes Lächeln auf. Mit ihrer Freundin drillt sie die Männer auf lustig, verzeiht schon mal den einen oder anderen Schrittfehler, wenn der Tanz immer noch nicht sitzen will: „Die Männer haben bei ihrem Auftritt ja grundsätzlich einen Ulk-Bonus.“

Auch die Oberbürgermeister unterliegen der Geheimhaltungspflicht, dürfen nichts über ihren Auftritt verraten. Und so kann Otto Klessen nur spekulieren, was da am Rosenmontag auf ihn zukommt: „Vielleicht etwas, was mit meinem Beruf zu tun hat“, orakelt der Kraftfahrzeugmeister von der Tanke in Hohenhameln. Mit seinem Motto „Wer früher tankt, ist eher voll“ hat er „ElMariEl“ zwar eine Anregung gegeben, doch die beiden Frauen lassen sich nicht weiter in die Karten gucken. Selbst ihrem Mann Michael verrät Elke Holsteiner nichts über den bevorstehenden Auftritt: „Aber der weiß, dass ich eh nichts sage“, sagt die 49-Jährige und lässt Otto Klessen einigermaßen ratlos zurück.

„Geheim, geheim, alles so geheim“, murmelt der Oberochse, als er später an der Tür von Norbert Bormann klingelt. Auch er ist ein Oberbürgermeister, trägt den Titel Meister vom Rockenden Rohr. Bei ihm proben an diesem Abend die Rottensänger. Gerade kann Klessen noch ein paar Takte der Truck-Stop-Melodie „Der wilde, wilde Westen“ aufschnappen, da verstummen auch schon wie auf Kommando alle Instrumente im Übungsraum. Dass die Band ihn am Rosenmontag aufs Korn nehmen wird, gehört ebenso zur Tradition wie die scharfzüngigen Lieder auf das Leben in Hohenhameln und den „richtigen“ Bürgermeister „Lutzi Putzi“ Erwig. Wenn alle ihr Fett wegbekommen haben, erheben die Rottensänger den amtierenden Oberochsen in den Adelsstand. So geht das nun schon seit 53 Jahren. Wenn auch in wechselnder Besetzung, weshalb sich das Quintett auch gern als die älteste Boygroup in Hohenhameln bezeichnet. Am Rosenmontag wollen sie sich wieder richtig ins Zeug legen. Zumindest das geben sie Otto Klessen nach seiner Stippvisite mit auf den Weg. Vielmehr haben sie ihm nicht verraten. Entsprechend fällt sein Dank aus: „Ich zähl auf euch. Ihr habt schließlich schon ganz andere Säle leergespielt.“

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Nur noch

bis Rosenmontag.

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